Wie viel wiegt Glück – und ist das die richtige Frage?
In 60 Tagen zum Traumkörper? In vier Wochen acht Kilo abnehmen? Heute ist es das beliebteste Verkaufsargument der Fitnessbranche: In X Zeit wirst du wie Y aussehen — oder eine Variation davon. Ob es nun um verlorene Kilos, zugelegte Muskelmasse oder Ähnliches geht, eines fällt auf: heute scheint sich alles nur mehr darum zu drehen, wie gut man nackt aussieht. Doch ist die Fitnessindustrie überhaupt erfolgreich?
Schaut man sich die Umsatzzahlen an, so sind diese in den letzten Jahren immer weiter gestiegen. Aber wie schaut es aus, wenn man sich die gesamtgesellschaftliche Entwicklung ansieht?
Übergewicht hält die Welt im Würgegriff und schnürt immer mehr Leuten die Luft ab. Wir leben in einer Gesellschaft, für die Komfort und Bequemlichkeit als Werte ganz oben stehen, doch hat das natürlich negative Effekte auf die allgemeine Gesundheit. In den USA sind über 37 % aller Menschen fettleibig und insgesamt über 70 % der Bevölkerung haben ein paar Kilo zu viel auf den Rippen. Unglaubliche Zahlen, über die man in Europa gerne den Kopf schüttelt, die amerikanische Kultur kritisiert und sich überlegen fühlt. Doch schauen wir den Tatsachen ins Gesicht: auch in Euro pa sieht es nicht viel besser aus. Die Zahlen sind zwar noch nicht ganz so extrem, doch wir holen mit großen Schritten auf.
Übergewicht ist aber nicht nur ein extremes Problem für einzelne Menschen, sondern auch für die Gesellschaft als Ganzes. Übergewichtige Menschen kosten dem Gesundheitssystem viel mehr als normalgewichtige, doch das Geld ist knapp. Man fragt sich, wo das hinführen wird.
Natürlich kann man die Fitness- und Wellness-Industrie nicht pauschal dafür verantwortlich machen; zu differenziert ist das Angebot und es teilt sich immer noch mehr auf. Dennoch muss schon festgestellt werden, dass es heute viele Modelle für Fitnessangebote gibt, die langfristig nicht funktionieren bzw. das gar nicht im Sinn haben oder können. Es gibt eine Fülle an hervorragenden Angeboten und Ratschlägen da draußen, aber diese kommen gegen den gewaltigen Sog der sofortigen Bedürfnisbefriedigung (sofort gut aussehen), nach der VerbraucherInnen heute lechzen, nicht an.
Kurzfristige Ziele, kurzfristiger Erfolg
Schein ist wichtiger als Sein. Dieser Trend, der schon vor sehr langer Zeit eingesetzt hat, schwingt sich in den letzten Jahren zu immer neuen Höhenflügen auf. Es geht nur noch um das Bild, das man vermittelt und unmittelbare Erfolge. Natürlich zieht die Fitnessindustrie dabei nach. Sie gibt den KundInnen damit ja nur, was diese ohnehin wollen. Der Kunde hat immer Recht.
Doch es gibt ein Problem dabei: Ziele, die sich um das Thema Abnehmen bewegen, haben nur eine kurze Lebenserwartung. Personen, die noch nicht regelmäßig trainieren oder sich nicht mit ihrer Ernährung auseinandergesetzt haben, schaffen es zwar oft, ihr Abnehmziel zu erreichen. Klar, am Anfang ist alles neu und aufregend und die ersten purzelnden Kilos motivieren extrem. Doch schnell wird das Training zur Schinderei. Man zieht es trotzdem durch, denn man hat ein Ziel. Hat man das aber erreicht, ist nichts mehr mit bewusster Ernährung, Kalorien zählen oder schinden im Fitnessstudio. Man fällt wieder in seine alten Gewohnheiten zurück — und damit einhergehend auch auf sein altes Gewichtsniveau.
Der zu enge Fokus, den man sich gesetzt hat, ist die Wurzel des Übels. Selbst die Leute, die weiter trainieren, nachdem sie ihr Ziel erreicht haben, spüren einen starken Motivationsverlust.
Solange wir den Blickwinkel auf Gesundheit und Fitness nicht ändern, werden sich diese Muster weiter wiederholen. Gesundheit und körperlicher Kompetenz haben heute einfach nicht den Rang, den sie haben müssten, damit die meisten Leute langfristig gesund und mobil bleiben.
Gute Gründe fürs Training
Gründe, sein Leben in etwas gesündere Bahnen zu lenken, gibt es unzählige. Hier sind ein paar:
- weniger Schmerzen
- neues Körpergefühl
- mehr Beweglichkeit
- allgemein besseres Wohlbefinden
- mehr Selbstbewusstsein
Es geht nicht nur um den Gewichtsverlust und darum, wie gut man aussieht. Es geht um all die Verbesserungen, die ein gesünderes Leben zusätzlich mit sich bringen, um all die kleinen Momente, die plötzlich nicht mehr unangenehm oder belastend sind.
Ein besserer Gesundheitsmaßstab
Die Gesundheit ist der wichtigste Besitz, den ein Mensch hat. Natürlich können wir nicht darüber entscheiden, ob wir einmal krank werden oder uns nicht mehr bewegen können, aber wir können die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Ereignis eintritt, beeinflussen — in beide Richtungen.
Leider handeln wir meist erst, wenn es schon zu spät, der Schaden schon angerichtet ist. Das Problem ist aber, dass sich unsere Körper anpassen. Irgendwann ist die schlechte Gesundheit die Norm, weil Homöostase einsetzt. Das ist die Fähigkeit des Körpers, einen stabilen Zustand aufrecht zu erhalten. Das ist jeder Zustand, der über längere Zeit besteht – also auch Übergewicht und Inaktivität. Sobald ein Zustand aber Teil unserer Homöostase ist, werden Körper und Psyche sich gegen eine Veränderung wehren. Dann wird es immer noch schwieriger.
Was wir brauchen, ist eine große, mutige Vision. Was würden wir tun, wenn wir zusätzliche Energie hätten und alles irgendwie weniger anstrengend wäre? Was für ein Gefühl wäre es, wenn wir irgendwann keine Medikamente gegen hohen Blutdruck mehr brauchen würden — nie mehr? Wie würde das Leben sich ändern, wenn nicht mehr jeder Schritt anstrengend wäre und jede Steigung wie ein beinahe unüberwindliches Hindernis aussieht? Oder einfach: Wie gut fühlt man sich, wenn man auch im Alter noch unabhängig und selbstständig ist?
All diese Ziele haben eines gemeinsam: Es geht bei ihnen nicht darum, etwas zu erreichen und dann ist es gut. Es geht darum, sein Leben zu ändern und einen neuen, positiven Zustand aufrecht zu erhalten. Das ist kein Ziel, sondern ein Prozess.
Das Leben ist kompliziert und wird mit jedem Tag komplizierter. Nehmen wir bspw. Kinder: sie sind oft ein Grund dafür, dass man sich nicht mehr um seine Gesundheit kümmert, schließlich machen sie alles stressiger, man hat weniger Zeit. Doch eigentlich müssten doch gerade Kinder der beste Grund dafür sein, gut zu trainieren und gesund zu essen.
Dazu kommt, dass wir Kindern nichts beibringen können; sie machen uns ja sowieso alles nach. Will ich also, dass meine Kinder gesund sind, muss ich es ihnen mit gutem Beispiel vormachen, denn sie saugen das von den Eltern gezeigte Verhalten auf wie ein Schwamm. Der Befehl “Tu, was ich sage, aber nicht, was ich tue” funktioniert leider nicht.
Natürlich ist der Wunsch, Gewicht zu verlieren und wie die Models auszusehen, die uns heute von überall her anlachen, groß. Letztendlich reicht diese Motivation aber nicht, damit wir unser Zielgewicht langfristig halten. Wir müssen also tiefer graben, um bessere Motivation zu finden, Gewohnheiten entwickeln. Jede Veränderung sollte für das ganze Leben gedacht sein und dementsprechend genau sollten wir uns darüber im Klaren sein, was wir warum und wie tun. Es geht darum den Fokus zu verlagern: weg vom Sixpack oder dem flachen Bauch, hin zu Lebensqualität.
Wie viel muss ich wiegen, um endlich glücklich mit meinem Gewicht zu sein? Wie muss ich aussehen, um zufrieden zu sein? Das sind die falschen Fragen.
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